Gütersloh (2mind) – Etwa 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind armutsgefährdet. Besonders betroffen sind die Kinder Alleinerziehender sowie Familien mit drei oder mehr Kindern. Insgesamt ist mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht. Das geht aus dem heute veröffentlichten Factsheet “Kinder- und Jugendarmut in Deutschland” der Bertelsmann Stiftung hervor.
Noch ungünstiger sieht es für junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren aus: 1,55 Millionen Menschen dieser Altersgruppe gelten als armutsgefährdet. Das sind 25,5 Prozent aller jungen Erwachsenen, wobei Frauen stärker betroffen sind als Männer, junge Menschen in Ostdeutschland häufiger als die in Westdeutschland.
„Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leidet täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und hat zugleich deutlich schlechtere Zukunftsaussichten“, so Anette Stein, Director Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung, in einem Statement. „Das ist sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die Gesellschaft als Ganzes untragbar. Die derzeitigen Krisen und Preissteigerungen verschärfen das Problem.“
Bildungssystem gefordert
Das stellt auch für den Bildungsbereich eine Herausforderung dar. Antje Funcke, Senior Expert Familie und Bildung, sagte gegenüber 2mind: „Es ist notwendig, in Bildungseinrichtungen über Armut zu sprechen und das Thema nicht zu tabuisieren.“ Der sozio-ökonomische Status von Kindern sei immer noch entscheidend für deren Bildungserfolg; es gehe also auch um Bildungsgerechtigkeit. „Pädagoginnen und Pädagogen sollten dafür sensibilisiert sein, was es mit Kindern macht, wenn sie unter Armutsbedingungen aufwachsen“, so Funcke. Keinesfalls dürften diese Kinder stigmatisiert werden.
Die deutlich steigende Zahl von Kindern in SGB II-Haushalten ist laut Bertelsmann Stiftung vor allem auf die aus der Ukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen zurückzuführen. In Bezug auf die regionale Verteilung zeigt sich eine große Spannbreite zwischen drei Prozent betroffener Kinder und Jugendlicher im bayerischen Roth und 42 Prozent in Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen.
Kindergrundsicherung – bedarfsorientiert
Von der Politik fordert die Bertelsmann Stiftung, die Bekämpfung der Kinder- und Jugendarmut zur Priorität zu machen. Die Bundesregierung müsse „die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung jetzt schnellstmöglich und im benötigten Umfang beschließen“, so Anette Stein. Die Kindergrundsicherung müsse sich an den tatsächlichen Bedarfen junger Menschen für gutes Aufwachsen, Bildung und Teilhabe orientierten. Dazu müssten junge Menschen beteiligt und regelmäßig zu ihren Bedarfen befragt werden.
Die Diakonie-Vorständin Sozialpolitik, Maria Loheide, sieht das ähnlich: „Die Bertelsmann-Studie zu Kinderarmut zeigt, wie wichtig jetzt eine wirksame Kindergrundsicherung ist. Bei der materiellen Ausstattung darf die Bundesregierung keine Schnellschüsse liefern“, so Loheide gegenüber 2mind. „Es darf keine Ermittlung des Existenzminimums nach Haushalts- oder Kassenlage geben. Nötig ist eine Neuberechnung, die sich an dem orientiert, was Kinder und Jugendliche für ein gutes Aufwachsen wirklich und maßgeblich brauchen.“
Bei den Berechnungen im Factsheet “Kinder- und Jugendarmut” orientiert sich die Bertelsmann Stiftung erstens an der Armutsgefährdungsquote, der zufolge Familien als arm gelten, die über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verfügen. Einen zweiten Orientierungspunkt bildet die SGBII-Hilfequote, die Aufschlüsse über das Armutsrisiko zum Beispiel nach Wohnort oder Familienform gibt.
Stand: 26.01.23, 14:17 h