Genf (2mind) – Im Jahr 2006 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Seit 2009 ist diese Konvention in Deutschland verbindlich; bei der Umsetzung bestehen allerdings erhebliche Lücken. Das bescheinigt der zuständige UN-Ausschuss in einem in der vergangenen Woche vorgelegten Bericht. Die Anhörung dazu hatte im August stattgefunden.
„Es tut mir leid, dass ich so ehrlich bin“, zitiert das Magazin Spiegel Amalia Gamio, Vizepräsidentin des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Am zweiten Anhörungstag sagte sie demnach weiter: „Es ist ein Skandal, was Sie hier zum Teil antworten.“ Für die Anhörung im UN-Ausschuss waren 26 Vertreter aus Bund und Ländern nach Genf gereist – und bekamen die mahnenden Worte von Gamio zu hören: „Es geht nicht darum, die Konvention ein bisschen umzusetzen, sondern es ernsthaft zu tun“, zitiert der Spiegel die Ausschussvorsitzende weiter. Woran genau es bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland mangelt, dokumentiert der nun vorgelegte vorläufige Bericht.
Zum Hintergrund
Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Convention on the Rights of Persons with Disabilities) wurde im Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und trat im Mai 2008 völkerrechtlich in Kraft. Deutschland hatte das Übereinkommen im Februar 2009 ratifiziert.
Die Behindertenrechtskonvention konkretisiert die universellen Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen, wobei Autonomie, Selbstbestimmung und Inklusion – eine barrierefreie Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens – Kernprinzipien darstellen. Als Monitoring-Stelle überwacht das Deutsche Institut für Menschenrechte die nationale Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention seit 2009. Unterzeichnerstaaten legen alle vier Jahre einen Bericht zur Umsetzung der Konvention vor
Was Deutschland nicht gut macht
Die nun vorgelegten „Beobachtungen“ des zuständigen UN-Ausschusses loben Deutschland kurz, etwa für Veränderungen im Kinder- und Jugendhilfegesetz oder für Vereinbarungen im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung. Dann folgt eine sehr lange Liste von Sorgen und Empfehlungen des Ausschusses. Kritisch merkt der Ausschuss etwa an:
- Maßnahmen zur Inklusion von Menschen mit Behinderung sind nicht durchgängig in allen Bereiche von Staat, Gesellschaft und Recht einbezogen.
- Der Erfolg gesetzlicher Maßnahmen wird nicht überprüft.
- Organisationen von Menschen mit Behinderungen fehlen Ressourcen für eine aktive Beteiligung an der Ausarbeitung und Umsetzung von Gesetzen, Politiken und Programmen.
- Der gesetzliche Schutz gegen Diskriminierung erstreckt sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht auf private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen. Der Ausschuss empfiehlt der deutschen Regierung daher, Zusagen im Koalitionsvertrag zu erfüllen und den Rechtsschutz gegen Diskriminierung auf alle privaten Einrichtungen auszuweiten, die Güter und Dienstleistungen für die Öffentlichkeit bereitstellen. Zugleich sollten wirksame Rechtsbehelfe zur Durchsetzung der entsprechenden Verpflichtungen geschaffen werden.
- Es fehlt ein intersektioneller Ansatz, der die Berücksichtigung der Interessen von Mädchen und Frauen mit Behinderungen – einschließlich der Migrantinnen – in Gesetzgebung und Politik sicherstellt. Hier fehle zudem eine langfristige Finanzierung repräsentativer Organisationen.
- Mit Blick auf die die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen fehle es an Schulungen für Mitarbeitende von Jugendhilfeeinrichtungen.
- Zur Situation der Flüchtlingskinder mit Behinderungen fehlen Daten.
- Es fehlt eine umfassende nationale Strategie für Sensibilisierungsmaßnahmen, die zu einem nachhaltigen Einstellungswandel im Blick auf die Achtung der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen beitragen könnte.
- Es fehlt ein ausreichendes Angebot an erschwinglichem barrierefreiem Wohnraum.
- Öffentliche Verkehrsmittel sind nach wie vor mangelhaft zugänglich.
- Menschen mit Behinderungen werden weiterhin getrennt in Heimen untergebracht und es fehlen Maßnahmen, um diese Separation zu beenden.
Nun liegt es an den Bundes- bzw. Landesregierungen, die UN-Empfehlungen umzusetzen und benannte Missstände zu beseitigen.