Offener Ganztag: „Manche Kinder fallen durch das Raster“

Foto: Jenny Nau und Frank Hübner (Achim Halfmann / 2mind)

In Wuppertal bietet der Verein Knicklicht seit 20 Jahren eine intensive Begleitung mit Hausaufgabenhilfe und Kinderkantine.

Wuppertal (2mind) – Die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern soll Bildungschancen verbessern. Jedoch werden die großen Gruppen in der Nachmittagsbegleitung nicht allen Kindern gerecht. „Kinder, die auf familiäre Strukturen und intensivere Begleitung angewiesen sind, fallen durch das Raster“, sagt Frank Hübner, Vorstand beim Kinder- und Jugendhilfeträger Knicklicht. Die Arbeit auf dem Ölberg im Wuppertaler Stadtteil Elberfeld wird im September 20 Jahre alt.

Der markante Name Ölberg entstand in den 1920 Jahren, als viele Wohnungen in dem Arbeiterviertel mit Öl- bzw. Petroliumlampen beleuchtet wurden, denn sie waren nicht an das öffentliche Stromnetz angebunden. „In unserem Stadtteil leben viele Familien mit vielseitigen Migrationshintergründen“, sagt Hübner. Das fördere die interkulturelle Kompetenz dieser Kinder. Der Knicklicht-Vorstand weiter: „Ethnische oder religiöse Konflikte erleben wir nicht.“

Knicklicht bietet eine soziale Gruppenarbeit für zwölf und eine Kinderkantine für 15 Kinder im Grundschulalter. Fünf Mitarbeitende in der sozialen Gruppenarbeit sorgen für eine individuelle Begleitung der Kinder an Wochentagen zwischen 11.30 und 16.30 Uhr. Die Kinder werden bei den Hausaufgaben unterstützt und mit Spiel- und Freizeitangeboten gefördert. Finanziert wird dieses Angebot im Rahmen der Hilfe zur Erziehung (HzE) durch das Wuppertaler Jugendamt.

Die benachbarte Kinderkantine wird von drei Fachkräften begleitet. Das gemeinsame Essen, die Begleitung bei den Hausaufgaben und kreative Freizeitangebote sind – wie in der sozialen Gruppenarbeit – wichtige Programmelemente. Auch die Kinderkantine wendet sich an Grundschüler, für die eine intensivere Begleitung wichtig ist. Zu den 15 Mädchen und Jungen dort zählen drei sogenannte HzE-Kinder.

Die Kinder in der sozialen Gruppenarbeit haben sich den Namen „Flumis“ gegeben, in der Kinderkantine sind die „Glühwürmchen“ unterwegs.

Was können wir für unseren Stadtteil leisten?

Entstanden ist die Knicklicht-Arbeit aus der Frage von Mitgliedern einer auf dem Ölberg gelegenen Baptistengemeinde, was Christen für ihren Stadtteil tun können. Mitglieder der Gemeindeleitung, zu der Frank Hübner gehörte, suchten das Gespräch mit Bezirkssozialarbeitern. Daraus entstand die Idee eines Jugendcafés, einer Hausaufgabenbetreuung und einer Kinderkantine. Zwei weitere Freikirchen – eine Freie evangelische und eine Brüdergemeinde – brachten sich in das Projekt. Gemeinsam renovierten Christen die Räume einer der Baptistengemeinde gegenüberliegenden ehemaligen Eckkneipe, die zum Verkauf stand und die ein Gemeindemitglied erwarb.

Der Verein Knicklicht e.V. wurde im September 2008 gegründet und schloss sich später dem DPWV („Der Paritätische“) als Spitzenverband an. Wichtig war die Vereinsgründung, um Spendengelder akquirieren zu können: Manche Firmen- und Privatspender wollten Mittel für die Kinderarbeit, nicht aber für eine Kirche zur Verfügung stellen. In dem Verein sind bis heute die Freie evangelische und die Baptistengemeinden vertreten. „Wir wollen eine christliche Ausrichtung als Kompass behalten“, sagt Hübner. „Dabei verstehen wir uns nicht als missionarisches, sondern als sozial-diakonisches Projekt.“

Hausbrand als Neustart

Anfangs wurde das Projekt Knicklicht ganz durch Ehrenamtliche gestaltet. Nach einem Brandschaden im Jahr 2010 mussten die Räume neu renoviert werden. Der Verein nutzte die unfreiwillige Zäsur, um seine Arbeit zu fokussieren: Das Jugendcafé wurde aufgegeben, Hausaufgabenbetreuung und Kinderkantine wurden ausgebaut. Für die Koordination und Begleitung des ehrenamtlichen Teams wurde erstmals eine hauptamtliche Fachkraft eingestellt.

Die soziale Gruppenarbeit startete im Jahr 2017. Seitdem ist der Verein als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Geleitet wird die Arbeit heute von der Sozialpädagogin Jenny Nau, die in Elterngesprächen und bei der Hilfeplanung mit den Familien gemeinsam Perspektiven über die Zeit im Knicklicht hinaus in den Blick nimmt. „Einzelne Kinder bleiben auch in der 5. Klasse bei uns, wenn der zeitgleiche Wechsel von Schule und Nachmittagsbetreuung eine Überforderung für sie wäre“, sagt Nau.

Nicht ohne Ehrenamtliche

Wie in der Anfangszeit besitzt das ehrenamtliche Engagement im Knicklicht eine hohe Bedeutung, auch wenn es nicht an die Arbeit der pädagogischen Fachkräfte ersetzt. Jeden Tag ist eine ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Gruppenarbeit mit dabei und Freiwillige unterstützen zudem die Köchin. Darüber hinaus kommen Ehrenamtliche im Rahmen von Patenschaften zum Einsatz, etwa als Vorlesepaten oder bei der Hausaufgabenunterstützung. „Das ehrenamtliche Engagement hat in der Coronapandemie deutlich gelitten, aber ohne Ehrenamtliche kann ein normaler Arbeitstag nicht abgedeckt werden“, sagt Nau.

Im Alltag wird die multiethnische Herkunft der Kinder berücksichtigt. Im Knicklicht wird das Verständnis der unterschiedlichen religiösen und kulturellen Besonderheiten der Kinder untereinander mit Projekten fördern. Das Essen wird von einer aus Syrien stammenden Köchin frisch zubereitet. Die Kinder können über eine Essenswunschbox ihre Ideen einbringen, die auch dann berücksichtigt werden, wenn sie nicht einem typisch deutschen Speiseplan entsprechen.

Kürzungen der Schulsozialarbeit hat Folgen

Seit der Coronapandemie haben sich Kinderbedürfnisse erkennbar verändert. „Die Zeit zu Hause und das Tragen von Schutzmasken hat sich bei den Kindern tief eingebrannt.“ Nau weiter: „Kinder sind gewaltbereiter und emotional unausgeglichener geworden. Es fällt ihnen schwerer, sich in soziale Situationen zu integrieren.“

Angesichts dieser Beobachtungen erscheint es alles andere als hilfreich, dass – aufgrund der unsicheren Finanzierung durch das Land – freie Träger der Schulsozialarbeit in Wuppertal ihren Rückzug aus diesem Arbeitsfeld angekündigt haben. Sozialarbeitende verlassen ihre Stellen und wechseln auf sicherere berufliche Positionen. Knicklicht-Vorstand Hübner sagt: „Kürzungen der Schulsozialarbeit führen dazu, dass der Austausch mit Schulen schwieriger wird.“ Lehrer fühlten sich häufiger überfordert und könnten einzelne Kinder und deren soziale Situation nicht tiefer kennenlernen. Dies könne auch dazu führen, dass weniger Kinder individuelle Förderangebote über Hilfen zur Erziehung erhalten. Für das Knicklicht liegt eine Herausforderung darin, die eigenen Belegungszahlen aufrecht zu erhalten.

Die finanziell angespannte Lage verhindert zudem neue Projekte. So hatte Knicklicht die Konzeption für eine Präventionsgruppe entwickelt, die Kinder bereits vor einer Gewährung von Hilfe zur Erziehung fördern sollte. Die Konzeption stieß bei den kommunalen Verantwortlichen auf Zustimmung, jedoch scheiterte eine Finanzierung. Hübner dazu: „Hilfe zur Erziehung ist eine Pflichtleistung, Prävention dagegen eine Kann-Leistung, und dafür fehlt es aktuell an Mitteln.“

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