
Berlin (2mind) – Sollte die Prostitution Minderjähriger gesetzlich geregelt werden? Und schadet die Prostitution einer Hochschwangeren dem ungeborenen Kind? Diese Fragen wirft ein Bericht des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) auf. Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums hatte das KFN die Wirkung des im Juli 2017 in Kraft getretenen Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) untersucht und Empfehlungen zu dessen Weiterentwicklung gegeben. Die Einschätzungen und Empfehlungen des Gutachtens stießen auf ein geteiltes Echo.
Mit dem Prostitutionsschutzgesetz wollte die Bundesregierung die Situation von sich prostituierenden Frauen und Männern verbessern und sie vor Menschenhandel, Ausbeutung und Zwang schützen. Dazu schuf das Gesetz eine Anmeldepflicht für Prostituierte, verbunden mit einem Informations- und Beratungsgespräch. Betreiber eines Prostitutionsbetriebs – etwa von Prostitutionsstätten oder -vermittlungen – benötigen eine Erlaubnis, deren Voraussetzungen ebenfalls in dem Gesetz geregelt werden. Und das Gesetz verpflichtete die Bundesregierung, bis Ende Juni 2025 eine Evaluation vorzulegen.
Hat das Prostitutionsschutzgesetz seine Ziele erreicht?
Das KFN sieht in seinem Evaluationsbericht Stärken und Schwächen des Gesetzes. „Da die Schwächen jedoch weitgehend behebbar erscheinen, hat das ProstSchG aus Sicht der Autor*innen vor allem Potenzial.“
Schützt das Gesetz – wie angestrebt – vor Gewalt? Die Lebens- und Arbeitsbedingungen Prostituierter seien sehr unterschiedlich. „Einige Prostituierte üben die Tätigkeit sehr selbstbestimmt aus. Insbesondere ‚Armuts- und Beschaffungsprostituierte‘ sehen sich häufig mit prekären Lebensbedingungen konfrontiert“, heißt es in dem Bericht. Einzelne Gruppen Prostituierter könnten einem erhöhten Risiko von Gewalt ausgesetzt sein – sowohl durch strukturelle Ausbeutung als auch durch ihre Kunden. Jedoch seien weitere Untersuchungen nötig, um hierzu belastbare Aussagen treffen zu können.
Zudem verweisen die Autoren auf die unzureichende Datenlage: „Aussagekräftige Daten zur Zahl der in Deutschland tätigen Prostituierten, die auf fundierten empirischen Erkenntnissen beruhen und sich zum aktuellen Zustand verhalten, existieren zum jetzigen Zeitpunkt nicht.“ Damit lässt sich nicht sagen, wie hoch der Anteil der Prostituierten ist, die ihre Tätigkeit angemeldet haben – und wie viele Prostituierte im Dunkelfeld arbeiten.
Was ist über Lebenslagen der angemeldeten Prostituierten bekannt?
Im Jahr 2019 – vor der Corona-Pandemie – gab es 40.369 Anmeldungen nach dem ProstSchG. Die Anmeldezahlen vielen während der Pandemie deutlich und erreichten 2023 mit 30.636 nicht wieder das Vor-Corona-Niveau. Der Anteile der Prostituierten mit deutscher Staatsangehörigkeit lag in den Jahren 2017 bis 2023 zwischen 18 und 22 %.
„Unter den gültig Angemeldeten aus Nicht-EU-Staaten fällt einerseits die stets hohe Zahl von Menschen mit thailändischer Staatsangehörigkeit auf, ebenso wie die seit dem Jahr 2022 sprunghaft ansteigende Zahl von Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit“, so der Bericht. Bei den EU-Staatsangehörigen lag der Altersschwerpunkt in der Gruppe der 21- bis 35-Jährigen, bei den Personen aus Nicht-EU-Staaten im Bereich von 36 bis 55 Jahren. „Die absoluten Zahlen der 18- bis 20-jährigen Prostituierten sind sowohl unter den EU- als auch den Nicht-EU-Staatsangehörigen über alle Erhebungsjahre hinweg vergleichsweise gering.“
Weiter schreiben die Autoren: „„Prostituierte sind überdurchschnittlich häufig von bestimmten sexuell übertragbaren Infektionen betroffen, wobei insbesondere nicht versicherte und migrantische Prostituierte eine besonders vulnerable Gruppe darstellen.“
Hauptgrund für die Nichtanmeldung von Prostituierten sei eine fehlende Bereitschaft zur Offenlegung der Prostitutionstätigkeit gegenüber einer Behörde. „Auch wegen des (hier nachgewiesenen) häufigen Benachteiligungserlebens infolge der Tätigkeit als Prostituierte ist jedenfalls ein Teil dieser Menschen sehr zurückhaltend in der Offenlegung ihrer Tätigkeit – nicht selten wird die Prostitutionstätigkeit sogar gegenüber der eigenen Familie und engen Freunden verheimlicht.“
Zudem deuteten regionale Untersuchungen darauf hin, „dass sich ein Teil der Prostitutionsszene seit der Einführung des Gesetzes stärker in informelle, schwer beobachtbare Bereiche verlagert hat, insbesondere durch die Schließung von Prostitutionsstätten und die Nutzung von Online-Plattformen.“
Was ist über die Prostitutionsbetriebe bekannt?
Die Anmeldung von Prostitutionsbetrieben stieg bis zum Jahr 2023 kontinuierlich auf 2.312. „Der allergrößte Teil gültiger Erlaubnisse bezieht sich auf Prostitutionsstätten, ein deutlich geringer Teil auf Prostitutionsvermittlungen.“ Weiter heißt es im Bericht, es seien nur sehr wenige Prostitutionsfahrzeuge und Prostitutionsveranstaltungen angemeldet worden. „Ersichtlich gibt es aber auch Prostitutionsgewerbetreibende, die sich dem Erlaubnisverfahren bislang nicht stellen. Wie groß der Anteil ist, kann auf Basis der vorliegenden Daten nicht beurteilt werden.“
In den zurückliegenden Jahren wurden jeweils zwischen neun und 50 Erlaubnisse widerrufen. „Die Zahl der Versagungen von Erlaubnissen für Prostitutionsgewerbe schwankt zwischen 27 Versagungen im Jahr 2022 und 140 im Jahr 2019.“
Was empfiehlt der Bericht?
Die Autoren der KFN geben dem Gesetzgeber zahlreiche Empfehlungen mit, darunter:
- die finanzielle Förderung von Maßnahmen, die über Prostitution aufklären, und die Prüfung von Maßnahmen, mit denen der Benachteiligung von Prostituierten im Alltag aktiv entgegengewirkt wird;
- einen weitgehenden Ausschluss der Übermittlung von Anmeldedaten an Behörden, die nicht ProstSchG-Behörden sind – etwa an Finanzbehörden -, um das Vertrauen in die Sicherheit der sensiblen Daten zu erhöhen;
- eine besonders umfassende Aufklärung heranwachsender Prostituierter;
- die Prüfung, ob der „Anwendungsbereich nicht teilweise auf minderjährige Prostituierte ausgedehnt werden sollte“, um diese besser schützen zu können;
- die Einholung eines unabhängigen Gutachtens dazu, ob die Prostitution Hochschwangerer Risiken für das ungeborene Leben mit sich bringt;
- die Einführung einer Pflicht für Gewerbetreibende, „online und offline in prominenter Weise darauf hinzuweisen, dass sie eine Erlaubnis nach dem ProstSchG besitzen“.
Welche Reaktionen gibt es auf den Bericht?
Verbände und Organisationen reagierten erwartbar unterschiedlich auf den Evaluationsbericht.
Der „Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel“ (KOK) bezeichnet die Evaluation als umfassend, gründlich und ausgewogen. „Das Gutachten unterstreicht, dass die freiwillig ausgeübte Prostitution von Zwang und Menschenhandel klar zu unterscheiden ist“, so der KOK. „Regulierung von Sexarbeit kann ein Baustein im Einsatz gegen Menschenhandel sein, darf aber nicht zur Kriminalisierung oder Verdrängung führen.“
Für den Verein „Terre Des Femmes – Menschenrechte für die Frau“ lässt die Evaluation den Schluss zu: „Das Gesetz schützt nicht, denn es ändert nichts an der Realität von Gewalt, Ausbeutung und strukturellem Zwang in der Prostitution.“ Der Zugang zu Beratung und Information sei für viele Personen zu hochschwellig, die Wirkung der Anmeldepflicht wird als kritisch eingeschätzt.
Der LSVD⁺-Bundesverband (Verband Queere Vielfalt) fordert eine vollständige Entkriminalisierung von Sexarbeit. „Das Prostituiertenschutzgesetz ist kein geeignetes Instrument zur Bekämpfung von Ausbeutung und Gewalt.“ Die in dem Gesetz enthaltene Registrierungspflicht lehnt der Verband ab.
Für den Verein Solwodi Deutschland e.V. erklärte dessen Vorsitzende Maria Decker: „Die Evaluierung des kfn geht von methodisch bedingten Verzerrungen und fragwürdigen Ansätzen aus und zeichnet in Konsequenz ein zu positives Bild der Prostitution und der Wirksamkeit des Gesetzes“. Bestimmte Bereiche der Prostitutionsausübung, z.B. der Straßenstrich, seien kaum in den Blick genommen worden und es sei fraglich, inwieweit die KFN-Empfehlungen in diesem besonders prekären Milieu greifen würden.
Wie geht es weiter?
Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) kündigte bei der Vorstellung der Evaluation die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission an, mit deren Hilfe der Schutz vor Zwangsprostitution und sexueller Ausbeutung wie auch die Rechte der Betroffenen gestärkt werden soll. Die Kommission werde sich mit den konkreten Ergebnissen der Evaluation und den grundsätzlichen Fragen zur Situation der Prostituierten in Deutschland beschäftigen, so ihr Ministerium.
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