
Inga Gerckens im Interview zur Situation von Frauen in der Prostitution, der Ausstiegsbegleitung und dem Evaluationsbericht zum Prostituiertenschutzgesetz
Hamburg (2mind) – Die Evaluationsstudie zum Prostituiertenschutzgesetz (2mind berichtete) hat ein sehr unterschiedliches Echo erhalten. Während die einen hohe wissenschaftliche Standards loben, beklagen die anderen eine Realitätsferne. Zu den Kritikerinnen gehört Inga Gerckens. Die Sozialökonomin verantwortet die operative Leitung des Hamburger Vereins Mission Freedom. Mit ihr sprach Achim Halfmann für 2mind.
2mind: Mit der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes wurde ein Sondergutachten zur Freiwilligkeit erstellt. Die Kurzfassung: Freiwillig ist alles, was nicht unter Bedrohung für Leben und Gesundheit geschieht. Geschieht also der Großteil der Prostitution freiwillig?
Inga Gerckens: Das Sondergutachten wurde auf einer Ebene erstellt, auf der es um juristische Feinheiten geht, und es beleuchtet Freiwilligkeit in verschiedene Richtungen auf einer sehr intellektuellen und klugen Ebene. Aber es geht in der Realität um Menschen, um Lebensumstände und um Notlagen, und ich habe ich den Eindruck: Das Gutachten ist weit weg von dieser Realität. Zu uns nach Deutschland kommen viele Frauen aus Osteuropa und anderen Ländern aus größten Notlagen. Diese Frauen wollen ihre Lebenssituation verbessern. Angesichts des Mittels, das sie dazu wählen, stellt sich die Frage: Ist das tatsächlich ein Weg, den wir ihnen als Gesellschaft zugestehen sollten? Oder müssten wir einen Aufschrei wagen?
Es ist erschreckend, was da passiert, und das macht auch etwas mit uns als Gesellschaft. Ein bedrückendes Beispiel ist der elendige Straßenstrich in Berlin mit seinen sogenannten Verrichtungsboxen. Das sind dreckige Boxen, die zugleich als Toiletten genutzt werden können, in denen sich Frauen zu Dumpingpreisen prostituieren. Oder junge Frauen, die ohne Deutschkenntnisse in Wohnwägen auf einsamen Landstraßen anschaffen. Oder Bordelle voller Frauen, die wie am Fließband Freier bedienen und wöchentlich den Ort wechseln, um woanders als „frische Ware“ angepriesen zu werden. Natürlich kann man sagen: Wir wollen diesen Menschen nicht die Möglichkeit nehmen, Geld zu verdienen und ihre Lebenssituation zu verbessern. Aber so denken wir in keinem anderen Bereich in Deutschland – überall geht es um Mindeststandards und Würde. In keinem anderen Bereich würde man dieses Elend betrachten und sagen, es handele sich um eine hilfreiche Möglichkeit, der eigenen Not etwas entgegenzusetzen. Hier, meine ich, müssten wir einen Aufschrei wagen.
Muss denn Prostitution nicht von Zwangsprostitution unterschieden werden?
Im Kontext von Prostitution besteht eine Bandbreite an Zwangs- und Notlagen und Ausbeutungsform, die unserer Erfahrung nach häufig so ineinander überfließen, dass man Prostitution und Zwangsprostitution nicht einfach voneinander treffen kann. In der Prostitution treffen wir Menschen, deren Biografien geprägt sind von Gewalt, von Armut, von Missbrauch, von psychischen Problemen. Es sind Menschen, die häufig schon ihr Leben lang mit Problemen überfordert sind. Kein Wohnsitz, keine Krankenversicherung, kein soziales Netzwerk, keine gesunden Beziehungen – dafür aber psychische Belastungen, Krankheiten oder auch Behinderungen. Das erschwert es ihnen, gute Entscheidungen zu treffen. Wenn man dieses Elend im Rotlicht miterlebt, fehlen einem die richtigen Worte für das, was dieses Freiwilligkeits-Gutachten macht. Von freien Entscheidungen kann da keine Rede sein.
In der öffentlichen Diskussion wird die nach außen hübsche Seite von Prostitution deutlich stärker wahrgenommen als das, was Du gerade geschildert hast und die fast unsichtbar zu sein scheint.
Es gibt wenig Lobby für die Frauen, die ihre Stimme nicht selbst erheben können. Unsichtbar sind sie aber nicht: Man sieht den Straßenstrich, man sieht Laufhäuser, Bordelle, Appartements, Wohnwagenprostitution, die Prostitution am Straßenrand und im Wald. Überall in Deutschland ist Prostitution sichtbar. Und ein Blick in die Freierforen zeigt ebenfalls, dass viele Käufer sich an Elend und Not aufgeilen und die Frauen durch rassistische und sexistische Kommentare und Handlungen in ihrer Würde beschädigen.
Du sprichst von Migrantinnen, die hier in der Armutsprostitution landen. Kann das Prostituiertenschutzgesetz diesen Frauen helfen?
Ein Teil der Frauen ist angemeldet, viele jedoch auch nicht. Für manche ist eine solche Anmeldung aus ihrer kulturellen Prägung unwichtig, ihnen fehlt ein Verständnis für den Nutzen. Andererseits erleben wir häufig Frauen, die sich unter Zwang prostituieren und die zu einer Anmeldung gedrängt werden, weil nach außen ein sauberer Eindruck vermittelt werden soll.
Wir erleben nicht, dass eine Anmeldung eine Auswirkung auf die Arbeits- und Lebenssituation hat. Eine Anmeldung schützt nicht davor, aufgrund wirtschaftlicher Not gefährliche Praktiken anzubieten und schützt ebenfalls nicht vor Demütigung, vor Entwürdigung, vor grenzüberschreitendem Verhalten, vor Abhängigkeit und vor Stigmatisierung.
Was wird eigentlich aus den Frauen, die sich heute prostituieren, wenn sie älter werden? Was ist ihre Zukunftsperspektive?
Wir begleiten einige Frauen im Alter von 50 plus. Die älteste Person, die wir beim Ausstieg aus der Prostitution begleitet haben, war 79 Jahre alt. Dabei erleben wir Menschen, die körperlich und seelisch am Ende sind, die es nicht mehr aushalten. Was mit den Frauen passiert, die keine Hilfe suchen, weiß ich nicht, ob sie hier sterben oder in ihre Heimat zurückkehren oder in der Obdachlosigkeit verelenden. Aber was ich weiß, das ist: Diese Frauen haben viele Jahre in Deutschland in der Prostitution gearbeitet und sie haben am Ende nichts: kein Geld angespart, keinen Wohnsitz, keine Supportsysteme, keine Kranken- oder Rentenversicherung. In dem System Prostitution geht es darum, jeden Tag das Überleben zu schaffen, und dabei verschlechtert sich jeden Tag die körperliche und psychische Situation. Am Ende müssen die Frauen sehen, ob sie irgendwie vom Hilfesystem aufgefangen werden.
Zum Stichwort Hilfesystem: Wie gut sind wir in Deutschland aufgestellt? Werden wir den Frauen gerecht, oder müssten wir uns auch als Gesellschaft viel stärker engagieren?
Wir erleben, dass die Frauen häufig durch eine Lücke im System fallen. Frauen aus Osteuropa zum Beispiel dürfen für die Arbeitssuche in Deutschland sein. Wenn sie in der Prostitution arbeiten, haben sie – nicht alle, aber die meisten – keinen Wohnsitz und sind nicht gemeldet. Wenn sie dann aussteigen wollen, haben sie nicht sofort Anspruch auf Sozialleistungen. Da gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern, den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe und den Sachbearbeitern. Häufig helfen wir solchen Frauen aus Spendenmitteln, melden sie auf unsere Kosten zur Krankenversicherung an und besorgen Wohnraum. Das gibt den Frauen die Chance auf eine medizinische Versorgung und in einigen Fällen auch auf medizinische Gutachten, die eine Voraussetzung für die Hilfegewährung darstellen. Die Mühlen der Eingliederungshilfe mahlen langsam und in einzelnen Fällen mussten schon bis zu zwei Jahre überbrückt werden.
Besonders schwierig ist die Situation von Frauen aus Nicht-EU-Staaten, die sich möglicherweise illegal in Deutschland aufhalten. Da geht es aus Sicht der Justiz darum, ob sie eine relevante Aussage in einem Ermittlungsverfahren machen können. Und es kann überlegt werden, ob ein Asylverfahren als Möglichkeit im Raum steht. Aber das ist nicht wirklich die Hilfe, die diese Frauen brauchen.
Ihr begleitet Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution. Was motiviert diese Frauen zu einem Neuanfang?

Meistens ist es der absolute Tiefpunkt im eigenen Leben und das Erleben: So geht es nicht weiter, ich halte das nicht mehr aus und deshalb brauche ich jetzt irgendwie Unterstützung. Ohne einen solchen Tiefpunkt ist Ausstiegshilfe tatsächlich schwierig, weil man anerkennen muss: Die Prostitution bietet – ähnlich wie z.B. der Drogenkonsum – eine schnelle Hilfe für drängende Probleme, auch wenn sie langfristig für neue Probleme sorgt. Frauen haben keine Wohnung: Das Bordell bietet eine Unterkunft. Frauen leben in finanzieller Armut: Die Prostitution bietet schnelles Geld. Frauen haben keine Ausbildung: Für Prostitution ist das völlig egal. Vordergründig also löst die Prostitution manche Probleme und die neuen Schwierigkeiten bleiben zunächst im Hintergrund.
Für Menschen, die lange durch Prostitution geprägt wurden, ist der Ausstieg besonders schwer. Bisher gab es täglich schnelles Geld, zukünftig kommt das Geld einmal im Monat und man muss gut damit haushalten. Wenn noch Familie im Heimatland unterstützt werden muss, ist die finanzielle Herausforderung enorm. In einem neuen Leben müssen die Frauen nach vorne denken und in die Zukunft investieren: in ein Praktikum vielleicht oder in eine berufliche Ausbildung. Für viele Frauen ist das eine fremde Welt und deshalb brauchen sie Unterstützung und Ermutigung. Häufig verläuft ein Ausstieg in Wellen, mit vielen Versuchen und Rückschlägen – und irgendwann gelingt es dann. Wichtig ist, dass sie wissen, warum sie aussteigen wollen. Denn beim Ausstieg erleben sie neue Herausforderungen und müssen dann gut überlegen: Stelle ich mich diesen Problemen – oder falle ich zurück in meine alten Lösungsmuster? Ergänzend kommen bei ca. 2/3 der Betroffenen noch eine posttraumatische Belastungsstörung hinzu. Bei einigen aufgrund der Gewalt in der Kindheit, bei anderen aufgrund der erlebten Gewalt in der Prostitution. Die Wucht der Symptome wird meistens erst beim Ausstieg deutlich, wenn der Körper nicht mehr im Überlebensmodus ist.
Einige Herausforderungen beim Ausstieg aus der Prostitution hast Du bereits beschrieben. Wie sieht dieser Weg ganz praktisch aus?
Das startet immer mit aufsuchender Arbeit, mit Menschen, die ins Milieu gehen. Dabei geht es um jahrelange Investition in einzelne Menschen, um Beziehungsarbeit. Es geht darum, Menschen zu stärken, ihnen das Gefühl zu geben: Du bist nicht allein. Wir wollen einer Person vermitteln: Es gibt für dich vermutlich gute Gründe, in der Prostitution zu sein oder zu bleiben. Aber wenn du Hilfe möchtest, sind wir da. Es gibt Frauen, die sich unter Zwang prostituieren und uns trotzdem fünf Jahre lang ins Gesicht gucken und sagen: Es ist alles gut, ich brauche nichts. Und nach diesen fünf Jahren fassen sie Vertrauen, suchen Hilfe und sagen und: Ich habe gesehen, dass ihr es ernst meint. Vertrauen ist ein sehr wichtiges Thema: Die Frauen sind oft enttäuscht worden und Vertrauen ist die Voraussetzung dafür, dass sie den Ausstieg aus dem Milieu und der Gewaltkultur versuchen. Im Blick darauf tut es mir gut, mich selbst zu spiegeln und mich daran zu erinnern, wie lange ich in manchen Themen feststecke. Veränderungen haben immer einen Preis, und wir brauchen dazu Menschen, die an unserer Seite stehen und uns helfen.
Wenn eine Frau Vertrauen gefasst hat und sagt: Ich bin nicht freiwillig in der Prostitution, ich möchte aussteigen. Wie geht es dann konkret weiter?
Wir sind Teil eines Netzwerks von Organisationen, die niedrigschwellig und unbürokratisch Wohnraumangebote mit Ausstiegshilfen kombinieren. Ein Wohnraumangebot ist eine unentbehrliche Voraussetzung für den Ausstieg. Mit den Frauen besprechen wir: Wie schnell willst du aussteigen: Heute? Oder nächste Woche? Oder wann? Das muss zunächst geklärt sein und dann können wir entweder selbst einen Platz anbieten oder wir suchen in unserem Netzwerk danach.
Wenn feststeht, wo eine Frau aufgenommen werden kann, stellt sich die nächste Frage: Wie kommt sie dorthin? Unterstützt ein Streetworker oder kann sie alleine mit dem FlixBus oder dem Zug fahren? In der Einrichtung kommen manche Frauen mit zwei Koffern an und andere nur mit einer Plastiktüte. Dort wird dann geklärt: Was fehlt an Kleidung? Sind Dokumente vorhanden – etwa ein Personalausweis? Welche Fragen sind am drängendsten und was hat Zeit?
Es geht darum, Schritt für Schritt etwas Neues zu beginnen. In Deutschland braucht alles seine Zeit; das erleben die Frauen, wenn sie zum Beispiel ein Ausweisdokument beantragen. Es gilt, den Frauen Mut zu machen, auch wenn nicht gleich am nächsten Tag ein neuer Job mit neuen Verdienstmöglichkeiten vor der Tür steht. Arbeit ist auch deshalb wichtig, weil sie eine Tagesstruktur vermittelt – was für manche Frauen eine Herausforderung darstellt. Gut ist, wenn es eine Hausgemeinschaft mit gemeinsamen Aktivitäten und Möglichkeiten gibt, sich niedrigschwellig einzubringen und aktiv zu sein.
Grundsätzlich geht es immer um folgende Themen: Wie ist der rechtliche Status? Wie kann eine finanzielle Versorgung durch Arbeit oder ergänzende Hilfesysteme gewährleistet sein? Welche medizinischen und therapeutischen Angebote werden benötigt und wie ist der Weg dorthin? Welche beruflichen Perspektiven sind möglich? Welche Ressourcen stärken im Alltag? Bei welchen Alltags-Themen benötigt jemand Unterstützung? (z.B. Finanzplanung, Tagesstruktur, Termin-Begleitung, Konflikte)
Wie sieht es mit Perspektiven für die Frauen aus? Zum Beispiel bei Migrantinnen: Wollen viele von ihnen in Deutschland ein Zuhause finden oder eher in ihre Herkunftsländer zurückkehren?
Die meisten wollen sich in Deutschland etwas aufbauen. Das fördern wir, wenn dem aufenthaltsrechtlich nichts entgegensteht. Wir unterstützen die Frauen dabei, ihren Lebenslauf zu schreiben und zu entdecken, was ihnen Spaß machen könnte. Die ersten Jobs sind vielleicht einfache Tätigkeiten, die wenig Sprachkenntnisse erfordern, häufig in der Reinigung. Solche Einstiegsjobs sind wichtig, um überhaupt in den Arbeitsprozess hineinzufinden. Arbeit ist belastend und die Frauen müssen erproben, wie viele Stunden am Tag sie das körperlich und emotional aushalten. Sie haben vorab täglich viele Stunden in der Prostitution verbracht und denken, einem neuen Vollzeitjob gewachsen zu sein. Aber das gelingt nicht immer sofort, weil der Körper und die Psyche in der Prostitution stark gelitten haben. Es gilt also, das richtige Maß zu finden.
Dann geht darum, mit dem verdienten Geld haushalten zu lernen. Meist müssen von dem Einkommen noch Schulden abgetragen werden oder die Frauen wollen ihre Familien in der Heimat unterstützen. Das Gefühl ist häufig: Ich hatte in der Prostitution viel mehr Geld zur Verfügung – auch wenn davon nichts übrigblieb und das meiste an die Bordellbesitzer floss. Die Frauen hatten keine Chance, zu sparen und sich eine Zukunft aufzubauen.
Ihr seid als Christen in dieser Arbeit engagiert. Gibt es etwas Besonderes, dass Ihr in diese Herausforderungen und Begegnungen einbringen könnt? Und welche Rolle spielt der Glaube in der Praxis Eurer Arbeit?
Wir sind mit tragischen Schicksalen konfrontiert, mit schlimmen Erfahrungen und mit Hoffnungslosigkeit. Als Christen können wir miteinander im Team beten und Sorgen bei Gott abgeben sowie um sein Eingreifen bitten, um Kraft und Hoffnung. Bei Frauen, die das möchten, bieten wir Seelsorge und Gebet an. Viele Frauen aus Osteuropa sind mit dem christlichen Glauben vertraut. Manche beten auch persönlich. Manche fragen sich, ob Gott wütend auf sie ist und sie verurteilt, weil sie im Milieu arbeiten. Sie erleben es als stärkend, zu erfahren, dass Gott sie nicht verurteilt, sondern sie liebt und Gutes für ihr Leben möchte. Seelsorge kann so zu einem mutmachenden und stärkenden Prozess und der Glaube zu einer Ressource werden – gerade auch in der Trauma-Arbeit.
Kritiker aus dem gesellschaftspolitisch linken Spektrum werfen Euch und anderen christlichen Einrichtungen vor, zuerst missionieren zu wollen – und dabei fachliche Standards zu vernachlässigen.
In unserem Team sind Sozialarbeiterinnen und ausgebildete Trauma-Beraterinnen tätig, die ihre fachlichen Standards in ihre Arbeit einbringen. Sie wollen Menschen befähigen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – Menschen, denen vorher die Entscheidungen anderer aufgedrückt wurden. Unser Handeln reflektieren wir beständig in Teambesprechungen, in Supervisionen und in der Weiterbildung. Denn wir arbeiten mit Menschen, die intensiven Missbrauch erlebt haben und die merken würden, wenn wir ihnen etwas überstülpen wollen. Im Alltag fragen uns manche dieser Frauen, warum wir das tun, was wir tun – und dann reden wir über unsere Haltung und unseren Glauben.
Abschließend zurück zum Ausgangsthema: zu Deiner Einschätzung im Blick auf das Prostituiertenschutzgesetz. Kann dieses Gesetz verbessert werden oder brauchen wir einen Systemwechsel – etwa hin zu dem nordischen Modell, bei dem Prostitution als illegal gilt und sich die Strafverfolgung gegen die Freier richtet?
Wir brauchen einen Systemwechsel. Ob das neue System dann nordisches Modell heißt oder nicht, da bin ich offen. Aber ich denke: Solange wir in der Europäischen Union leben und zwischen dem östlichen und westlichen Teil extreme Unterschiede in Einkommens- und Sozialstrukturen gibt, so lange werden vulnerable Menschen aus dem östlichen Teil im Westen ausgebeutet werden. Deshalb brauchen wir mehr an Regulierung als eine Anmeldung oder Kondom- und Beratungspflicht. Eigentlich brauchen wir auf europäischer Ebene eine einheitliche Sozialhilfestruktur. Und wir müssen darüber nachdenken, wie Männer und Frauen miteinander umgehen: Wenn wir Gleichstellung wollen, dann kann es nicht sein, dass ein Geschlecht in Notlagen sexuell käuflich wird. Für Frauen in solchen Notlagen brauchen wir andere Hilfestrukturen. Es geht nicht nur um ein neues Gesetz, sondern vor allem um Ressourcen, mit denen wir Frauen in Not stärken können. Ohne solche Ressourcen ist es egal, welches Gesetz gilt: Es wird sich nichts ändern.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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